Fotos Uta Kurz, Werne

 

 Laurin Liekenbrock Interview Laurin Liekenbrock Gärtnerei Stadtgemüse / Solawi Werne Schon als Jugendlicher habe ich mich für den Umweltschutz engagiert, unter anderem in der Greenpeace-Jugend. Dabei hatte ich das Gefühl, dass ich mich an Problemen abarbeite. Das frustrierte mich und ich wollte lieber konkrete Lösungen finden. Mit meiner Familie habe ich für zweieinhalb Jahre im südlichen Afrika gelebt und dort landwirtschaftliche Projekte kennengelernt. Dabei ging es um Lösungen der lokalen Probleme durch innovative Anbaumethoden. So wurden beispielsweise auf öden und trockenen Flächen wieder Bäume gepflanzt, wodurch sich der Boden verbesserte. Er konnte wieder Wasser speichern, Erosionen unterblieben, versiegte Quellen begannen wieder zu sprudeln. Zurück in Deutschland wollte ich auch konkrete Lösungen finden und studierte ökologische Landwirtschaft. Nach dem Studium arbeitete ich zunächst als angestellter Gemüsegärtner auf ökologisch bewirtschafteten Höfen. Ich hatte aber schon immer eigene Vorstellungen, die ich gerne umgesetzt hätte und war bald auf der Suche nach einem eigenen Hof. Doch eine Hofübernahme ohne Erbschaft oder Großkapital stellte sich schwierig dar. So habe ich mich mit dem Prinzip der „Solidarischen Landwirtschaft“ beschäftigt und es ist genau das richtige für mich. Ich wollte gerne mehr mit den Händen arbeiten und weniger mit großen Maschinen. Das geht nur auf kleiner Fläche und nicht im klassischen Landbau. Im Jahr 2022 wurde ich auf unsere aktuelle Fläche in Werne aufmerksam, eine ehemalige Baumschule. Ich nahm Kontakt zum Eigentümer auf und wir einigten uns auf eine Pacht, so dass ich im Herbst 2022 mit den Vorbereitungen des Bodens beginnen konnte. Mit Hilfe der Klimainitiative „Natürlich Werne“ konnte ich zahlreiche wichtige Kontakte knüpfen, zu offiziellen Stellen wie auch zu interessierten Privatleuten. Im November 2022 fand unsere erste Bieterrunde statt, mit welcher die Solawi gegründet wurde. Ich konnte 100 Haushalte für die Idee, den Betrieb solidarisch zu finanzieren, begeistern. Diese Haushalte sind unsere Ernteteiler:innen – sie kaufen nicht mehr das Produkt, sondern finanzieren die besondere Art und Weise zu wirtschaften, fair zu Mensch und Umwelt. Im Frühjahr 2023 konnte ich auf dieser Grundlage zwei Teilzeitkräfte zu einem weit übertariflichen Stundenlohn von 17 Euro einstellen, einen kleinen Traktor kaufen und die Bewässerungstechnik optimieren. Für mich ist es genau das, was unsere Gesellschaft braucht, damit Landwirtschaft umwelt- und ressourcenschonend, aber dennoch wirtschaftlich sein kann: das Risiko wird geteilt. Dieses Jahr z.B. hatten wir ein sehr nasses und recht kühles Frühjahr, da wächst dann nicht alles wie geplant. Dieses Risiko trage ich aber als Landwirt nicht alleine, sondern solidarisch mit den Ernteteiler:innen. Dafür biete ich faire Arbeitsbedingungen für meine Angestellten und viel Teilhabe für die Ernteteiler:innen. Es gibt z.B. Mitmachtage, bei denen einige Ernteiler:innen ehrenamtlich begeistert aktiv sind. Über unsere elektronische Infopost werden alle wöchentlich über den aktuellen Betrieb informiert. Es gibt hier keine Anonymität, sondern vollständige Transparenz. Man gewinnt hier Begegnungen mit Menschen und bereichert den Alltag durch Wertschätzung der Lebensmittel. So berichten viele, dass es schwerer fällt, hier geerntetes Gemüse wegzuwerfen, dass das richtig weh tut, wenn man gesehen hat, wie es hier wächst und welche Arbeit da reingesteckt wurde. Man kann hier zwar nicht zu jeder Zeit auf volle Regale zugreifen – aber man lernt eine andere Art von Fülle kennen. So bieten wir unbekannte, fast vergessene Sorten an, wie etwa Haferwurzeln, Stielmus oder Schwarzkohl. Unsere Pflanzen sind an die lokalen Verhältnisse angepasst, samenfest und vor allem geht es nicht um den maximalen Ertrag, sondern den maximalen Geschmack. Unsere Möhren sind so süß, dass manche dachten, wir gießen mit Zuckerwasser. Dabei ist es einfach das langsame Wachsen, die Zeit, die wir geben, weil wir sie durch das solidarische Prinzip haben. Wir müssen nicht das ernten, was aktuell gefragt ist, was also die Masse kauft, sondern das, was reif ist. Es wird reif geerntet, nicht energieintensiv in Kühlräumen gelagert. Geerntet, geteilt, gegessen. Hier auf unserer Fläche haben wir keine schweren Maschinen, die meisten Geräte werden manuell betrieben. Wir haben auch keine Gebäude, lediglich mein selbstgebautes, rollbares Tiny-Häuschen bietet uns etwas Schutz vor Wind und Wetter. Wir arbeiten nach Standards der ökologischen Landwirtschaft. Unkraut wird manuell und Schädlinge werden durch Nützlinge, wie z.B. Schlupfwespen, bekämpft. Eine Zertifizierung haben wir nicht. Den bürokratischen und finanziellen Aufwand haben wir bisher nicht auf uns genommen. Ich denke, dass das Zertifikat in der anonymen Landwirtschaft wichtig ist. Hier gibt es aber durch die maximale Transparenz Vertrauen, das mir weit wertvoller erscheint, als das durch die Zertifizierung Erreichbare.
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