Birgit Mescher Interview Birgit Mescher Beauftrage für Gleichstellung, Familien und Senioren*innen bei der Stadt Fröndenberg/Ruhr Für mich privat ist Nachhaltigkeit natürlich auch ein großes Thema. Mein Mann und ich versuchen, möglichst ressourcenschonend zu leben. Wir nutzen alles so lange, wie es nur geht; an vielen Alltagsgegenständen hängen ja auch Erinnerungen. Meinen Golf fahre ich mittlerweile schon seit einem Vierteljahrhundert. Mit meinen 58 Jahren bin ich natürlich auch in einer Zeit aufgewachsen, in der Dinge einen ganz anderen Wert hatten. Damals bei uns zu Hause – mein Vater war Elektroingenieur – war die Reparatur vieler elektrischer Geräte nie ein großes Problem und bei anderen Geräten wusste man einfach, welcher Nachbar helfen oder bei welcher Werkstatt man es abgeben konnte. Durch eine Fernsehdokumentation kam ich auf die Idee des Repair-Cafés. Als Beauftrage für Gleichstellung, Familien und Senioren*innen bei der Stadt Fröndenberg/Ruhr, ist natürlich auch soziale Gerechtigkeit einer meiner Schwerpunkte. Daher suche ich immer nach Maßnahmen, mit denen ich die Bürgerinnen und Bürger unterstützen kann. Auch weil es in Fröndenberg und den umliegenden Gemeinden tolle solidarische Strukturen gibt, haben sich auf meinen ersten Aufruf 25 Tüftler*innen gemeldet, die mit Ihrer Expertise das Reparier-Café unterstützen wollten. Bei einem Seniorenausflug habe ich auch vom Repair-Café erzählt. Sofort hat mich eine Seniorin angesprochen: „Ich kann zwar keine Geräte reparieren, aber ich könnte für die Treffen Kuchen backen.“ Seitdem bekommen wir zu jedem Reparatur-Café einen Kuchen gespendet. “Hier treffen Menschen aufeinander, die eine gleichen Haltung vereint. Im Vordergrund steht das Hilfe-zur-Selbsthilfe-Prinzip. So können wertvolles Fachwissen und kleine Tipps weitergeben werden.” Schnell hat sich die Inhaberin des Café „abgefahr`n“ am Bahnhof bereiterklärt, die Idee mitzutragen und uns ihre Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Dort haben wir 2015 angefangen. Als unser Raumbedarf wuchs, konnten wir hauptsächlich bei Arbeiten an Elektrogeräten die Sicherheit der Tüftler*innen und Besucher*innen nicht mehr gewährleisten. So sind wir 2018 in das Bürgerzentrum Mühlenberg umgezogen, hier haben wir eine größere Fläche zur Verfügung und es ist zweckmäßig und neutral eingerichtet. Mittlerweile besteht unser Team aus knapp 20 ehrenamtlichen Reparateur*innen – hauptsächlich (ältere) Männer, die ihr Fachwissen auch gerne über die Stadtgrenzen hinaus zur Verfügung stellen. Es ist einfach schön, wie hilfsbereit die Menschen sind. Vor allem auch die Stimmung im Warteraum ist sehr schön mit vielen tollen Gesprächen bei Kaffee und dem gespendeten Kuchen. Hier treffen Menschen aufeinander, die eine gleichen Haltung vereint. Ein älterer Herr meinte letztens, dass er zwar nichts zu reparieren habe, aber die Begegnungen hier so mag. Wir haben einmal im Monat für zwei Stunden geöffnet, in Regel kommen so 20 bis 30 Leute mit Gegenständen, die sie reparieren lassen möchten. Man wird in die Anmeldeliste eingetragen und je nach Reparatur zu einem der Profis in den Reparaturraum vermittelt. Dort begutachtet man gemeinsam das Problem, denn im Vordergrund steht das Hilfe-zur- Selbsthilfe-Prinzip. So können wertvolles Fachwissen und kleine Tipps zur Selbsthilfe weitergeben werden. Einmal wollte ein älterer Herr seine Socken stopfen lassen, weil er nicht wusste wie, und eigentlich auch keine Lust dazu hatte. Die Näherin hat es ihm bei einer einzelnen Socke gezeigt, die anderen hat sie dem Herren wieder mitgegeben: So funktioniert Hilfe zur Selbsthilfe. Man bekommt immer wieder auch traurige Geschichten mit: Eine ältere Frau, deren Mann im Pflegeheim lebt hat einen elektrischen Kochtopf ins Repair-Café gebracht. Er liebe ihr Eingemachtes so sehr, meinte sie. Aber die Kosten für das Pflegeheim seien so hoch, dass sie sich einfach keinen neuen leisten könne. Mit wenigen Handgriffen war der Topf zum Glück wieder funktionstüchtig. Die Reparaturen sind kostenfrei, nur für Material wie Kabel oder Stecker müssen die Kosten übernommen werden. Wenn wir mal etwas nicht reparieren können, verweisen wir an geeignete Fachbetriebe. Wichtig ist, dass man die Sachen ohne Hilfe selbst transportieren können muss. Der größte Bedarf besteht schon an Reparaturen von Elektrogeräten, aber es werden auch viele andere Gegenstände repariert. Wir haben auch einen Buchbinder, der defekte Bücher restauriert und zwei Ehrenamtliche, die sich auf das Übersetzen von Sütterlintexten spezialisiert haben – die Angebote richten sich nach dem Bedarf der Bürger*innen. Unser Hauptproblem ist es Nachwuchs zu finden: „Unser Uhrmacher“ ist schon über 90 Jahre alt. Er hat in liebevoller Feinarbeit Uhren repariert. Wir führen den Nachhaltigkeitsgedanken auch in andere Bereiche fort: Seit 2018 bieten zwei engagierten Frauen ehrenamtlich ihre Unterstützung beim Nähen und Upcyceln im dafür gegründeten Näcafé „Knopfloch“ an. Seit über einem Jahr ist foodsharing bei uns aktiv. Perspektivisch würde ich gern auch eine solidarische Landwirtschaft bei uns in oder um Fröndenberg etablieren. Fotos Repair Café Fröndenberg (Ruhr)
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